In dieser aufschlussreichen Podcast-Folge diskutieren Experten über die sich entwickelnde Landschaft der Beschaffung und der digitalen Transformation im Mittelstand. Das Gespräch befasst sich mit den Vorteilen von Best-of-Breed-Lösungen gegenüber herkömmlichen ERP-Systemen. Jan-Henner plädiert für Best-of-Breed-Ansätze aufgrund ihrer Kosteneffizienz und Agilität, insbesondere für strategische Aufgaben wie das Risiko- und Lieferantenmanagement, räumt jedoch ein, dass ERP-Systeme für eher operative Aspekte nach wie vor effektiv sind. Die Diskussion zeigt, dass viele Unternehmen trotz der Verfügbarkeit fortschrittlicher Technologien aufgrund interner Widerstände und mangelnder strategischer Vision mit der digitalen Transformation zu kämpfen haben.
Der Podcast untersucht außerdem praktische Schritte für Einkaufsleiter, die ihre digitalen Initiativen vorantreiben möchten. Zu den wichtigsten Empfehlungen gehören die Entwicklung einer klaren Strategie, die Erstellung solider Geschäftsmodelle und die Steigerung der Attraktivität der Einkaufsabteilung, um Spitzentalente anzuziehen. Mit Blick auf die Zukunft stellen sich die Redner eine Zukunft vor, in der sich der Einkauf auf die Minimierung von Risiken, die Förderung von Nachhaltigkeit und die Automatisierung von Prozessen konzentriert, um Ressourcen für mehr strategische Arbeit freizusetzen. Die Folge bietet wertvolle Einblicke in die Navigation auf dem komplexen Weg der Digitalisierung im Einkauf.
Intro | 00:02.46
Herzlich willkommen zu Procurement Unplugged, dem Podcast mit Einkaufsexperten für die Einkaufswelt. Schön, dass Sie einschalten.
Fabian | 00:13.39
Herzlich willkommen zu einer weiteren Episode von Procurement Unplugged. Heute mit einem neuen Gast, Jan-Henna Theissen.
Ich freue mich ganz herzlich, dich begrüßen zu dürfen. Jan Henner ist mittlerweile auch schon seit 20 Jahren im Einkauf unterwegs, hat die digitale Transformation begleitet beim Weltkonzern Akko in den letzten Jahren, vor allem in der Transformation des Mittelstandes unterwegs mit seiner eigenen Beratungsfirma Target P. Jan Henner, ich freue mich ganz herzlich, dich hier zu treffen. bei uns im Studio begrüßen zu dürfen.
Jan Henner | 00:48.24
Ja, vielen Dank, Fabian. Freut mich.
Fabian | 00:51.00
Ja, es ist ja immer spannend. Ich habe ja deinen Werdegang so ein bisschen skizziert, wie verschiedene Persönlichkeiten ins Procurement kommen. Das ist ja jetzt meistens nicht so der Standard-Werdegang. Wie war es denn bei dir?
Jan Henner | 01:05.38
Ja, bei mir war es auch definitiv nicht Standard. Es war eigentlich eher ein Unfall. Ich habe irgendwann vor vielen, vielen Jahren mal eine Berufsausbildung gemacht.
Und als ich fertig war, Stand für mich fest, irgendwann willst du noch studieren, aber bevor das stattfindet, steigst du noch ins Unternehmen ein und hatte mich so ein bisschen auf das Thema Controlling gefreut und bin dann in irgendeiner Form im Einkauf gelandet.
Was mich am Anfang nicht so begeistert hat, aber das hat sich innerhalb weniger Wochen dann schlagartig geändert und einer meiner Kollegen damals, ein klassischer Einkaufsveteran, sagte mal einmal Einkauf, immer Einkauf.
Das war für mich damals noch eine Drohung, aber es hat sich bewahrheitet. Ich bin mittlerweile seit 26 Jahren dabei. Und dementsprechend ist auch meine Karriere in den Einkauf jetzt nicht unbedingt geplant gewesen, aber umso mehr hat es mich fasziniert.
Fabian | 01:50.21
Ja, vielleicht könntest du ein bisschen mehr erzählen zu deinem Werdegang, dann vom quasi Controlling und Einstieg bis jetzt quasi zu deiner eigenen Beratungsfirma, die du ja nun inzwischen auch so seit einigen Jahren sehr erfolgreich führst.
Jan Henner | 02:04.541
Ja, ich habe so ziemlich im Einkauf alles machen dürfen, was man machen durfte oder was man machen kann im Einkauf. Klassisch angefangen als Einkäufer. noch mit typischen operativen Tätigkeiten auch in den 90er Jahren.
Also habe noch so ein bisschen den Einkauf auch mitbekommen, wie er in den guten alten Zeiten vielleicht gewesen sein mag. Habe dementsprechend auch die letzten 22, 23 Jahre die Transformation, die Weiterentwicklung des Einkaufes von einer damaligen in eine moderne Funktion in vielerlei Hinsicht miterleben dürfen.
Habe dann irgendwann mal in der Automobilindustrie angefangen nach dem Studium. wo ich dann auch zehn Jahre gewesen bin als strategischer Einkäufer, Projekteinkäufer, habe dann auch ein großes Beschaffungsprojekt als Einkaufsleitung übernommen für die Firma Benteler in einer Art Joint Venture mit BMW. Da ging es dann um das Fahrwerk des BMW X5, war damals ein Riesenprojekt, knapp fünf Milliarden Einkaufsvolumen und in dem Zuge dann auch ins Ausland gegangen.
Und 2007 war für mich eigentlich so ein Jahr, wo sich meine Einkaufskarriere ein bisschen geändert hat, weil da habe ich mich ganz bewusst entschieden, auch aus dem Thema Einkaufskarriere. auf Einkaufen herauszugehen und mehr auf die Organisationsebene, Transformation, Weiterentwicklung von Einkauf zu gehen.
Heute sprechen ja viele auch von Procurement Excellence. Und seit mittlerweile 15 Jahren befasse ich mich damit, Einkaufsorganisationen neu aufzubauen, neu zu strukturieren. Habe für die Firma Bentola weltweit den Einkauf neu aufgestellt, über alle Geschäftsfelder hinweg. Bin dann in die USA gegangen, abermals zur Firma Akko. Habe dort auch den Einkauf zum ersten Mal in der Firmengeschichte. neu aufgestellt, markenübergreifend, länder-und regionsübergreifend einen schlagkräftigen Einkauf geformt für die Firma Akko.
Und natürlich in dem Hinblick auch vieles an digitalen Projekten gemacht. Das begleitet mich letztendlich seit 2000, 2001, meine erste große Plattformimplementierung im Jahr 2002 hinter mich gebracht. Und aufgrund dieser ganzen Gemengenlage, dieser Themen, die ich machen durfte, auch in Bezug auf Risikomanagement etc.
Habe ich mich 2017 entschlossen, selbstständig zu machen, habe Target P gegründet. Mittlerweile sind wir fünf Leute und wir beraten Unternehmen halt in dem Bereich Organisationsentwicklung, Transformation von Einkaufsorganisationen, Digitalisierung von Einkaufsorganisationen, von Plattformen über Einzellösungen bis hin zu digitalen Ökosystemen. Aber eben auch das ganze Thema Lieferantenmanagement, Risikomanagement ist für uns ein wichtiges Thema.
Fabian | 04:26.50
Das war ja schon eine Reise über zwei Jahrzehnte hinweg. Was hat sich denn am meisten verändert? Du hast es ja eben schon eingangs erwähnt, der gute alte Einkauf damals. Was würdest du denn jetzt bezüglich Transformation sagen, hat sich in den letzten 20 Jahren am meisten verändert?
Jan Henner | 04:46.87
Sicherlich zum einen der Stellenwert des Einkaufs innerhalb der Unternehmen. Auch wenn das immer noch ein Punkt ist, wo wir kämpfen und wo auch gerade im Mittelstand immer noch Organisationen um ihre Rolle im Unternehmen kämpfen und sich versuchen zu qualifizieren, hat man doch schon erkannt, dass der Einkauf eben nicht mehr dieses klassische Stiefkind ist, dieses Bestellbüro, was nur noch abwickeln soll, sondern man hat sich schon da emanzipiert.
Sind wir da, wo wir sein wollen in vielerlei Dinge? Sind wir wahrscheinlich nicht. Und wo wir auch gerne wären, sind wir wahrscheinlich auch nicht. Wir reden ja heutzutage viel über Wertbeitrag, abseits von Kostenmanagement, abseits von Kostenreduzierung.
Ich glaube, da sind viele Einkaufsorganisationen immer noch nicht, aber da sind wir zumindest auf einem guten Weg. Das andere ist natürlich ganz klar das Thema E-Procurement, digitaler Einkauf, wie auch immer der Begriff ist. Ich bin damals im Einkauf angefangen, da wurden gerade die ersten PCs in die Unternehmen gestellt und es gab sowas wie Excel und Access und E-Mail.
Mittlerweile können wir komplexe Themen im Einkauf mit Unterstützung digitaler Lösungen managen, sei es Beschaffungsprojekte, Prozesse, sei es Lieferantenmanagementaktivitäten oder auch das Risikomanagement. Da habe ich mittlerweile Sachen wie künstliche Intelligenz etc. zur Verfügung.
Das ist sicherlich eine dramatische Veränderung. Aber auch die Qualifikationen. Ich habe jetzt so zweimal, glaube ich, das Gefühl gehabt, auch so Generationswechsel im Einkauf miterleben zu dürfen. Von so dem typischen Einkäufer der 80er, 90er Jahre, wo dann auch vieles vielleicht noch per Handschlag ging, vieles auch nicht unbedingt dokumentiert wurde, vieles über auch persönliche Beziehungen lief, hin zu einem formaleren Einkauf, zu einem verbindlicheren Einkauf, zu einem dokumentierteren Einkauf.
Aber damit verbunden auch natürlich mit... und erheblich höheren Qualifikationen der Mitarbeiter im Einkauf. Also heutzutage brauchst du, glaube ich, ohne Studium, ohne Mehrsprachigkeit und bestimmte Hintergründe, zumindest in einigen Unternehmen, dich gar nicht mal bewerben.
Das war sicherlich früher anders. Also ich konnte noch als gelernter Industriekaufmann ohne Probleme in einen Einkauf wechseln und da durchaus auch verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen. Das wird heute schwer. Also man sieht schon diese generelle Aufbau von Fähigkeiten, Kompetenzen in der Organisation, wie auch bei den Mitarbeitern.
Fabian | 07:05.53
Wenn man das so zusammenfassen kann, hat sich die letzten zwei Jahrzehnte eigentlich so der Stellenwert des Einkaufs verändert. Natürlich könnte er immer noch besser sein, aber der ist inzwischen natürlich auf einem ganz anderen Podest als jetzt vor 20 Jahren. Aber was spannend ist, ich meine, viele reden immer über Digitalisierung und digitale Transformation.
Du sagst aber auch ebenso wie das hat sich natürlich das Anforderungsprofil an den Einkäufer verändert. Vielleicht das auch nochmal für unsere Hörer zum... Zum herausstellen, dass natürlich der Einkäufer von heute mit den Anforderungen jetzt überhaupt nicht mehr zu vergleichen ist, wie mit dem Einkäufer von vor 20 Jahren. Was ich auch sehr spannend finde, ich meine, du warst bei Weltkonzernen wie Benteler und Akko.
Jetzt muss man natürlich sagen, die Anforderungen und die Budgets und die Fähigkeiten derartigen Weltkonzern sind natürlich enorm. Und bis jetzt mit Tage P im Mittelstand unterwegs. Also A, wieso der Wechsel quasi von Enterprise, Corporate zum Mittelstand? Und was sind die großen Unterschiede hier im Einkauf?
Jan Henner | 08:14.94
Ja, wir bedienen letztendlich beide Felder. Also wir haben sehr viele Kunden auch mit Einkaufsvolumina in höherer Milliardenhöhe mittlerweile. Da ist darunter die Firma Autoliv aus Schweden beispielsweise oder auch die Schweizer Bahn haben wir in der Vergangenheit sehr eng mit zusammengearbeitet. Das sind natürlich schon Unternehmen mit signifikanten Einkaufsvolumina.
Gleichzeitig ist es mir persönlich aber auch ein Anliegen, stark im Mittelstand unterwegs zu sein, weil da ist noch sehr, sehr viel Nachholbedarf in vielen Unternehmen, egal in welchem Handlungsfeld.
Ich glaube, wir sollten nicht einen Fehler machen und zu stark trennen zwischen Unternehmen oder Großkonzernen und Mittelstand. aktuell so ein Trend in den letzten Jahren, den ich auch in Deutschland sehr stark sehe, auch auf Einkaufsveranstaltungen, der mir ein bisschen Sorge bereitet, weil die Herausforderungen, die wir als Unternehmen meistern müssen, gerade in den letzten zwei, drei Jahren, sei es Pandemie, sei es Inflation, sei es Lieferdisruptionen, sind irgendwo die gleichen.
Sie beeinflussen unser tägliches Geschehen, egal ob ich nun Mittelstand bin oder auch Großkonzern, sodass ich da auch... relativ vergleichbare Anforderungen habe, beziehungsweise auch Lösungen finden muss.
Fabian | 09:29.83
Ich glaube, das sehe ich auch so und ich glaube, da hast du vollkommen recht. Jetzt stellen sich wahrscheinlich viele Mittelständler die Frage, wie können wir diese Herausforderungen und Anforderungen ebenso lösen wie die Großkonzerne, weil die Budgets und die handelnden Personen, das sind natürlich jetzt andere. als man jetzt irgendwie bei einem Ventiler oder bei einem Akku vorfindet.
Jan Henner | 09:56.37
Das ist sicherlich so. Das sehen wir auch immer wieder, sei es die Personalausstattung oder sei es auch generell das Budget. Das Gute ist, ich kann im Einkauf immer noch sehr viel machen, ohne dass ich unbedingt Budgets brauche.
Also wenn ich zum Beispiel mal das Thema Risikomanagement nehme, da kann ich auch... ohne große Budgets und ohne zusätzliche Ressourcen schon mal die ersten Schritte gehen, indem ich beispielsweise mal analysiere, was sind die Risiken, die auf mich einwirken, wie kann ich diesen Risiken entgegenwirken, welche Lieferanten haben vielleicht den größten Einfluss auf meine... auf meine Unternehmensergebnisse.
Das sind Themen, da brauche ich nicht unbedingt Budgets oder Personal für. Wenn ich natürlich in den Bereich digitaler Einkauf gehe, da sieht die Welt schon ein wenig anders aus, um die Themen voranzutreiben. Aber auch da sagen wir unseren Kunden, auch mittelständischen Kunden immer wieder, Es gibt mittlerweile so viele digitale Lösungen auf dem Markt, die dir die Arbeit erleichtern, die deinen Einkauf auch schlagkräftiger machen und die du auch als Mittelstand bezahlen kannst.
Also du musst nicht immer mit sechsstelligen Budgets hier planen oder rechnen, wenn du eine Initiative starten möchtest, sondern es gibt mittlerweile sehr reife, auch vom Mittelstand sehr intensiv genutzte Lösungen, wo du mit vier-oder fünfstelligen Budgets schon mal... gewaltigen Schritt nach vorne machen kannst, sei es in deinem eSourcing oder eProcurement-Aktivitäten, sei es auch bei dem Thema Lieferantenmanagement, Stichwort Lieferantendatenbank, Lieferanten-Onboarding-Lösungen, Lieferantenmanagement-Lösungen.
Da tun wir uns auch in Deutschland immer noch ein bisschen schwer, weil Investitionen in den Einkauf auch immer gleich verbunden wird mit Investitionen, können sich nur die großen Konzerne leisten, aber das ist mittlerweile nicht mehr so.
Wir haben seit mindestens zehn Jahren so ziemlich für jedes Thema im Einkauf starke digitale Lösungen, die auch mittelstandstauglich sind, sei es von der Umsetzung, der Implementierung des Aufwandes, der dahinter steht, aber eben auch seitens der Kosten, die damit verbunden sind. Und von daher sehe ich es gar nicht mehr unbedingt als Hinderungsgrund oder Ausrede, jetzt auch als mittelständisches Unternehmen nichts zu machen.
Fabian | 12:13.90
Okay. Also sehr spannend, weil das heißt ja quasi auch im Mittelstand gibt es quasi keine Ausreden mehr, einfach mal los, also soll man quasi mal loslegen zu digitalisieren, weil sich das ähnlich verhält wie bei den Großen.
Es ist natürlich bei den Großen immer die Debatte, full sweet oder best of breed, wo man quasi, du lachst das schon, wo man auf jeder Konferenz hört, wie ist denn sowas überhaupt für den Mittelstand abzufrühstücken, weil sowohl Für Full Suite brauche ich dann diese großen sechsstelligen Budgets, die du ansprichst.
Für Best of Pre, vielleicht nicht ganz so hohe Budgets oder vielleicht doch, je nachdem wie viel Best of Pre das endlich ausmacht. Ich brauche zumindest dann gute IT und API Teams, die mir das alles nahtlos vernetzen. Sonst hole ich mir natürlich auch das ganze Chaos ins Haus. Was ist denn deine Meinung dazu?
Jan Henner | 13:04.26
Ja, da muss ich jetzt antworten wie ein Rechtsanwalt. Das kommt darauf an. Ich persönlich bin ehrlich, bin... Gerade was den Mittelstand angeht, ein durchaus großer Verfechter einer Best-of-Breed-Architektur oder eines Best-of-Breed-Ökosystems. Einfach aus Kostengründen, das hat mir die Erfahrung gezeigt.
Dann im zweiten Schritt natürlich auch aus Zeitgründen. Ich möchte ja auch Projekte mal abschließen, schnell sein, gerade in der heutigen Zeit. Da sind natürlich kleine Lösungen oftmals wesentlich schneller umzusetzen und auch zu implementieren.
Natürlich habe ich immer die Diskussion, wie passt das in die generelle IT-Strategie des Unternehmens? Ist die IT oder wer auch immer bereit dazu, diese Lösung zu gehen? Aber in unserem Buch, was wir verfasst haben zum Thema digitaler Einkauf, gehen wir auch explizit auf das Thema Best-of-Breed ein.
Und ich halte das mittlerweile auch aus eigener Erfahrung, ich habe selber Best-of-Breed-Ökosysteme auch für große Konzerne aufgebaut, für wesentliche... kosteneffizienter und schneller in der Umsetzung. Und von daher haben wir so einen leichten Hang hin zu dieser Best-of-Bread-Geschichte.
Ich verstehe natürlich auch, wenn es Unternehmen gibt, die sagen, wir haben beispielsweise ein Standard-ERP-System, SAP oder Oracle oder was auch immer, und wir möchten damit, soweit es geht, alles umsetzen. Da kommt aber dann natürlich auch zum Tragen, wie ist der Einkauf strukturiert. sehr stark in Richtung strategischer Einkauf gehe, wird es mit diesem ERP-System relativ schwierig, die eine oder andere Geschichte umzusetzen.
Wenn ich sage, ich bin mehr im transaktionalen Bereich unterwegs, also ich möchte Bestellungen abwickeln, katalogisierbare Dinge abwickeln, dann habe ich natürlich auch in den herkömmlichen ERP-Lösungen mittlerweile gute Ansätze. Aber ich kenne persönlich so gut wie kaum ein Unternehmen, was beispielsweise im Produktionsumfeld tätig ist, auch in der Entwicklung von Bauteilen, wie im strategischen Einkauf. nicht alternative Produkte zu Ihrem ERP-System verwenden.
Fabian | 15:01.43
Ja, weil das ist natürlich auch ein Thema, was wir immer öfter hören und sagen, ja Moment, ich habe ja ein ERP-System, das hat ja ein Procurement-Modul. Damit kann ich ja eigentlich Analytics, Supplier-Management, die Verwandtenanfragen, Sourcing, alles bedienen. Also da sagst du quasi klar, für die operative Abwicklung ja, alles, was da ein bisschen in Strategischere geht. Nein.
Jan Henner | 15:26.98
Wie gesagt, es kommt ein bisschen drauf an, wie die Einkaufsfunktion, wie weit sie ist von ihrem Reifegrad und was sie erwartet. Aber meine Erfahrung sagt mir, aus eigenen Projekten, die ich in der Industrie gemacht habe, als Verantwortlicher, wie auch jetzt als Beratender oder Unterstützer.
Die meisten Unternehmen sind besser damit aufgehoben, sich dieses Ökosystem mit spezifischen Lösungen zu entwickeln, zusammenzustellen. Das mag sicherlich die eine oder andere Schnittstelle verursachen, aber das ist in der heutigen Zeit im Vergleich zu den frühen 2010er Jahren. nicht mehr so das Problem aufgrund der Schnittstellenharmonisierung, aufgrund der Leistungsfähigkeit der Schnittstellen, sodass dieses als Killer-Argument auch in der heutigen Zeit nicht mehr ziehen dürfte.
Und wer wirklich viel Wert legt darauf, einen Beschaffungsprozess möglichst flexibel, agil zu gestalten, wer viel Wert darauf legt, einen Lieferanten ganzheitlich oder die Lieferantenbasis ganzheitlich zu managen, den ganzen Lieferantencycle auch ganzheitlich zu managen, Der ist sicherlich mit alternativen Lösungen besser aufgehoben als mit den herkömmlichen ERP-Lösungen.
Fabian | 16:33.66
Also komplementär zu der ERP-Lösung dann alles, was da ein bisschen mehr ins Strategischere geht, bezüglich Daten auch, da dann quasi für SRM, für Sourcing und die Teilbereiche sich dann entsprechend mit Best-of-Breed-Lösungen verbessern.
Ja, was ist denn, wir haben jetzt schon viel über den Mittelstand gesprochen, was ist denn deiner Meinung nach so? Der Status Quo im deutschen Mittelstand, wenn man sich das jetzt mal alles anschaut, Digitalisierung und so weiter, es gibt ja immer mehr Initiativen. Du meintest ja anfangs, man dürfte das auch nicht so trennen mit Mittelstandsforum, Einkauf im Mittelstand und so weiter. Wie sieht denn deiner Meinung nach der Status Quo da aus?
Jan Henner | 17:16.09
Ja, um ehrlich zu sein, ich bin immer noch ein bisschen enttäuscht, muss ich zugeben, wenn ich sehe, wie wenig... in den Unternehmen passiert ist. Und wenn wir über Mittelstand reden, reden wir ja nicht nur über Unternehmen mit vielleicht 50 oder 100 Millionen Einkaufsvolumen, sondern wir reden ja im Mittelstand auch nach der deutschen Definition über Unternehmen, die durchaus im hohen neunstelligen Bereich sind oder gegebenenfalls auch im Einkaufsvolumen in Milliardenhöhe mitbringen.
Und ich hatte vor zwei Jahren mal ein sehr interessantes Erlebnis. wo der Einkauf dringend was machen wollte im Bereich Digitalisierung, ein spezielles Problem angehen, was sie auch auf der Agenda jeden Tag hatten und dann die Geschäftsführung sagte, Moment, brauchen wir das wirklich? Ging doch bis jetzt auch immer ohne und ihr habt doch Excel, ihr könnt das doch nehmen, oder? Und das ist so ein bisschen so der Mindset, den ich leider immer noch sehe.
Auch wenn es mittlerweile tolle Vorzeigeinitiativen gibt. Dieses Jahr beim BME-Symposium wurde mal wieder eins vorgestellt. Da ist ein Mittelständler ausgezeichnet worden für seine digitalen Initiativen. Das war sicherlich auch mal wieder ein gutes Beispiel.
Aber gleichzeitig durch die Bank muss ich sagen, fehlt da noch viel an Strategie. Wie wollen wir uns eigentlich als Einkauf digital aufstellen? Und vor allen Dingen mit der großen Frage, warum wollen wir das? Was wollen wir damit erreichen? Und weil diese Fragen oftmals nicht beantwortet sind, fehlt dann auch so ein bisschen der zweite Schritt, nämlich das Machen. Mit was für Lösungen fangen wir an? Was wollen wir damit erreichen?
Und was ich leider eben auch immer sehe und jetzt mache ich mir sicherlich keine Freunde, man erlebt auch im Mittelstand immer noch sehr oft, dass dieses Thema einkaufsintern oder unternehmensintern zu wenig vorangetrieben wird.
Da gibt es dann zwar Ideen, da gibt es Konzepte. Und dann scheitert es vielleicht in der ersten Hürde mal an dem ersten Budgetgespräch und dann wird es relativ schnell wieder in die Schublade gepackt, anstatt dass man sagt, ich kämpfe jetzt dafür, weil es mir persönlich wichtig ist.
Und da wundere ich mich dann immer so ein bisschen als Einkäufer, da bin ich ja gepolt, ich muss Dinge durchsetzen, ich muss für etwas kämpfen. Und da fehlt mir manchmal noch so ein bisschen die Initiative, dass auch der Einkauf für sich selbst mal kämpft.
Man sieht ja grundsätzlich, was passiert in anderen Abteilungen. Auf der Vertriebsseite wird investiert, auf der Produktionsseite wird investiert mit neuen Lösungen, Technologien und wir vergessen uns dann selber manchmal und deswegen würde ich den Status Quo nicht niedrig bewerten, aber er ist mit Sicherheit nicht da, wo er jetzt schon sein könnte, nachdem es mittlerweile seit 20 Jahren unterschiedlichste digitale Technologien gibt.
Fabian | 19:51.20
Ja, ich meine, um dir vielleicht wieder Freunde zu machen, vielleicht wäre es wichtig, ich meine, wenn ich mir jetzt vorstelle, es gibt in Deutschland tausende Unternehmen mit so 100 Millionen Umsatz, 300 Millionen Umsatz in dem Sektor, was sollte ich denn als Einkaufschef beachten, beziehungsweise wie sollte ich denn loslegen?
Wie du sagst, bei vielen ist ja das Thema, vielleicht ist der Wille ja doch da, das Budget fehlt vielleicht ein bisschen, man sollte dafür kämpfen. Aber was sind denn so die ersten drei, vier, fünf Punkte, wie kann ich denn da mal loslegen und sagen, okay, da kann ich jetzt so die, wie man so schön sagt, die ersten low-hanging fruits mal ernten?
Jan Henner | 20:27.56
Also auch wenn wir in Deutschland uns ja manchmal mit dem Begriff Strategie oder Vision oder Mission schwer tun, ich sollte mir auf jeden Fall Gedanken machen. warum will ich das Thema digital überhaupt angehen und was will ich damit erreichen? Das hört sich jetzt ein bisschen nach Berater-Blabla an, aber wenn ich nicht selber weiß, was ich damit erreichen möchte und auch erreichen kann, wird es schwierig sein, dieses Thema auch mit dem nötigen Enthusiasmus gegenüber beispielsweise meinen Budgetgebern oder Sponsoren zu verkaufen.
Also das ist zumindest mal der erste Schritt. Auch kleine Einkaufsorganisationen brauchen so etwas wie eine Einkaufsstrategie. Oder zumindest eine Roadmap, wo will ich hin als Organisation und wie komme ich da hin? Das ist zumindest der erste Schritt. Der zweite Schritt ist, ich kann mir relativ gut heutzutage auch Business Cases erarbeiten, die zumindest die Lösung, die ich präferiere, auch gut untermauern können.
Wenn ich sage zum Beispiel, ich möchte im Bereich Risikomanagement aktiv werden, habe ich genug... aktuelle Situationen, die ich auch für so einen Business Case hinzuziehen kann, die mir begründen können, warum möchte ich das machen und was ist auch der Wertbeitrag für mein Unternehmen.
Das Gleiche gilt natürlich auch für Sourcing-Lösungen. Ich sollte mir schon im Klaren darüber sein, warum will ich eigentlich diese Sourcing-Lösung haben, was möchte ich damit erreichen? Geht es mir darum, einfach nur den Prozess zu optimieren oder möchte ich gegebenenfalls auch unternehmensintern den Beschaffungsprozess so strukturieren? dass ich mehr Hebelfunktionen habe, was Bündelung etc. angeht.
Denn gerade im Mittelstand läuft auch noch vieles immer am Einkauf vorbei. Und damit hätte ich dann auch gleich eine Berechnungsgrundlage, um mir diese Lösung nicht schön zu rechnen, aber zumindest aufzeigen zu können, dass dort auch kurzfristiger Wertbeitrag machbar ist.
Das sollte auf jeden Fall bestehen. Und als Drittes empfehlen wir eigentlich grundsätzlich auch mal das Thema... Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und Attraktivität des Unternehmens zu überdenken. Gerade im Einkauf kämpfen wir immer noch mit dem Thema Talente und Interesse junger Leute im Einkauf.
Wenn ich natürlich dieses Spielfeld digital und global und wie auch immer nicht bespiele, wird es auch für mich immer schwierig sein, Talente zu finden, die meinen Einkauf voranbringen und die... auch die entsprechenden Fähigkeiten mitbringen.
Das heißt, ich muss vielleicht auch mal abseits des klassischen Business Cases und der klassischen Zahlen, Stichwort ROI, überlegen, was mache ich, um den Job im Einkauf, meine Abteilung, meinen Funktionsbereich einfach interessanter und spannender zu gestalten, abseits der Erfolge, um damit dann auch indirekt wiederum durch zusätzliches, besseres, besser ausgebildetes Personal dann auch nochmal den Wertbeitrag zu einem späteren Zeitpunkt nach oben zu treten.
Fabian | 23:21.12
Ja, ich glaube, das sind sehr klare und pragmatische Handlungsempfehlungen, wo ich mich vorstellen könnte, wo man sich vielleicht dennoch ein bisschen schwer tut, in der Umsetzung ist so das Thema Vision, vor allem jetzt hier in Deutschland. Ich meine, was wäre denn so deine Vision für den Einkauf? Wenn, sagen wir mal, du wärst jetzt Einkaufschef, was wäre jetzt deine Vision für den Einkauf der Zukunft die nächsten drei bis fünf Jahre?
Jan Henner | 23:47.89
Meine Vision, also mein Plan in dem Fall wäre schon, zumindest immer in zwei Ebenen zu denken. Also nie immer nur in Richtung Kosten zu denken, sondern wenn ich sage, ich möchte den Wertbeitrag steigern, muss ich auch gleichzeitig immer die Kompetenzen oder die Fähigkeiten einer Organisation steigern. Das heißt, ich habe immer so zwei Wege, die ich gehen muss, die einander bedingen, die ich aber berücksichtigen muss.
Das heißt für mich auf der einen Seite sehr viel investieren an Zeit, an Gedanken und vielleicht auch ein bisschen an Geld in den ganzen Bereich, was kann ich machen, um das Thema Risiken zu minimieren. Dazu gehören für mich aber auch solche Themen wie Nachhaltigkeit, was ja immer noch so ein bisschen so ein Geschmäckler hat, also dieses berühmte ESG-Umfeld, dass ich das betrachte, um letztendlich auch das Unternehmen... so zu positionieren, dass das Geld, was ich auf der einen Seite vielleicht reinhole, nicht auf der anderen Seite wieder rausgeschmissen wird.
Und der zweite Arm ist natürlich das ganze Thema Automatisierung des Einkaufes, weil wir reden ja seit vielen, vielen Jahren davon und das war übrigens auch ein Verkaufsargument, was SAP schon Ende der 1990 er Jahre bei jedem Gespräch aufbrachte. Sie müssen Zeit für die strategische Arbeit freischaufeln. Und ich habe das rein zufällig letztes Jahr in einem Gespräch nochmal mit einem Softwareanbieter gehört.
Da dachte ich mir, okay, bis jetzt in der Zeitschleife, dass du 20 Jahre später die gleiche Argumentation hörst. Aber es ist genau der Punkt. Wir müssen, wenn wir besser arbeiten wollen, müssen wir die Leute anfangen zu befreien von bestimmten Tätigkeiten. Heißt natürlich auch, dass es für den einen oder anderen Einkaufsmitarbeiter unbequem werden könnte, weil es gibt genug Leute, die fühlen sich sehr wohl in dem Umfeld. Operativer Einkauf, Abwicklung von Einkaufsprozessen.
Aber das wäre für mich eines der Hauptthemen, die ich versuchen würde zu eliminieren, um damit auch das zu machen, was ich als Einkauf ja will. Ich möchte strategisch arbeiten, ich möchte dem Unternehmen etwas an Wertbeitrag zurückgeben und ich möchte vor allen Dingen nicht verhaftet werden als Kostensenker, weil das macht man ein paar Jahre und danach vergeht zumindest mir die Lust, immer jedes Jahr die gleichen Kostenschleifen zu drehen mit immer neuen Argumenten, die aber dann doch wieder alt sind.
Fähigkeiten ausbauen auf der einen Seite und Automatisierung und Digitalisierung auf der anderen.
Fabian | 26:06.87
Ja, ich glaube, das sind sehr wichtige Gedanken, die man da mitnehmen kann mit den Fähigkeiten ausbauen, vor allem auch im Punkt der Risikominimierung. Wir haben natürlich an allen Ecken und Enden Risiken im Moment. Lieferkettengesetz, ESG, Supply Chain Risiken in der globalen Welt, die jeden betreffen.
Ich glaube, das Thema Automatisierung jetzt auch quasi in der Remote-Post-Covid-Welt, ich glaube, so aktuell wie noch nie, selbst wenn es vor 20 Jahren schon ein Claim war. Und ich glaube, da schließt sich auch der Kreis zu deinem Eingangsstatement, dass sich die Anforderungen an den einzelnen Einkäufer extrem stark verändern werden. Ich meine, es wären dann mehr die Orchestratoren, es wären mehr die Strategen.
Sehr spannende Gedanken, die wir hier mitnehmen können. Vielen, vielen Dank für das offene und teilweise auch provokative Gespräch. Ich denke, es war sehr erfrischend und tausend Dank für deine Zeit.
Jan Henner | 27:10.25
Gerne, hat mir Spaß gemacht, Fabian. Vielen Dank für die Möglichkeit.
Final | 27:15.30
Bleiben Sie uns treu und bis bald bei Procurement Unplugged.